Zwei japanned Papiermaché-Sitzmöbel mit bemalten Perlmuttauflagen

Untersuchungen zu Konstruktion und Herstellungsprozess sowie zu Materialien, Schichtaufbau und Auftragstechniken der dekorativen Oberfläche.

DIE VERWENDUNG UND VERARBEITUNGSTECHNIK VON PAPIERMACHÉ FÜR GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE IM 18. UND 19. JAHRHUNDERT — VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR HOCHBLÜTE IN ENGLAND ZUR VIKTORIANISCHEN ZEIT

Nach der 1828 erschienenen Biografie von John Thomas Smith soll Mr. Wilton in London in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwei ältere französische Damen angestellt gehabt haben, die ihm den Rohstoff für seine Papiermache-Waren lieferten. Dazu kauten sie wohl Papierabfälle, die durch den Speichel zu einer Art Brei umgesetzt wurden und anschließend mit anderen Zusätzen zu Papiermache-Gegenständen verarbeitet werden konnten.

Diese Anekdote erläutert ein mögliches Aufkommen der Papiermache-Herstellung in England und beschreibt anschaulich die wörtliche Übersetzung des Begriffes Papiermache im Französischen, nämlich ,,gekautes Papier", wie bereits erwähnt.

Im Weiteren wird der Werdegang des Papiermachés für Gebrauchsgegenstände in Europa aufgezeigt und die Entwicklung des Materials speziell auf seine Festigkeit hin erläutert.

1. Die Anfänge der Papiermaché-Verwendung in England

In England wurde bis zu den frühen Anfängen des 18. Jahrhunderts beinah alles an benötigtem Papier importiert. Bis zu jenem Zeitpunkt als französische Hugenotten das Wissen über die Pa-pierherstellung mit in das Land brachten und erste Fabriken eröffneten. Von nun an spielte auch in England Papiermaché eine immer größere Rolle. Dies war beginnend besonders die Verwendung als Baustoff, wobei u.a. einige namhafte Gebäude mit Papiermaché-Ornamenten dekoriert wurden.

Aber auch für Gebrauchsgegenstände wurde das neuartige Trägermaterial aus Papierrohstoff im¬mer beliebter. So fand es beispielsweise im Bereich der englischen Teeaccessoires als günstigere Alternative zu Porzellan schnell in der Gesellschaft Anklang. Die dazu passenden Serviertabletts (Abb. 12) und Service wurden meist den importierten, lackierten Japanwaren nachempfunden.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts bildete sich Birmingham als Zentrum für herausragende Manu¬fakturen im Bereich des Lackierwesens wie auch der Papiermaché-Herstellung heraus.

Zur gleichen Zeit etwa erkannte auch John Baskerville (1706 — 1775), der bis dato für seine gewalzten und lackierten Blechwaren bekannt war, die Vorteile des Papierrohstoffes und stieg ebenfalls auf Papiermaché als Grundmaterial für seine Waren um — vermutlich inspirierten ihn hierzu französische Papiermaché-Artikel. Seine bis heute beliebten Serviertabletts mit meisterhaft lackierter Oberfläche waren dabei von außerordentlicher Qualität. Baskerville gilt als Wegbereiter weiterer namhafter Persönlichkeiten im Bereich der Papiermaché-Anfertigung, so auch einer seiner Lehrlinge Henry Clay.

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Abbildung 12: Serviertablett aus Papiermaché; Landschaftsszene mit fischenden Männern; England, ca. 1870

2. Die Erfindung der speziellen Papiermaché-Herstellung durch Guillaume Martin in Frankreich zur Imitation ostasiatischer Lackkunst

Der Einzug der ostasiatischen Lackkunst nach Europa hatte knapp zwei Jahrhunderte später große Auswirkungen, z.B. auf den Markt der Schnupftabakdosen (Abb. 13, Abb. 14). Dies geschah im 18. Jahrhundert durch die günstigere Herstellung in Form von lackiertem Papiermaché.

Die Gebrüder Martin aus Paris waren seit 1730 spezialisiert auf ostasiatische Lackwaren. Um die dafür notwendige Glätte des Trägermaterials zu erreichen, verbesserten sie die Art des Papierma-chés, indem Guillaume Martin eine neue Verarbeitungsmöglichkeit erfand. Anstatt des davor genutzten Papierbreis, der an Stabilität verlieren konnte und zeitaufwändiger in der Herstellung war, formten sie ihre Gegenstände aus vielen dünnen, in Leim getränkten und übereinandergelegten Papierbahnen. Dieses Verfahren war sehr einfach zu erlernen, kostengünstig und führte zu einer Herstellung dünnwandiger und langlebiger Papiermaché-Gegenstände.

Die eingeweichten Papierlagen wurden in gewünschter Dicke noch nass in Formen gepresst und anschließend in Öfen getrocknet. Danach waren sie bereit für die weitere Oberflächenbearbeitung, welche gleichermaßen wie bei Holz erfolgen konnte. Nach knapp einer Woche konnte mit dem aufwändigen Lackiervorgang begonnen werden. 

Dieses spezielle und neuartige Verfahren der Papiermaché-Herstellung wurde später in den 70er Jahren des gleichen Jahrhunderts auch von der deutschen Manufaktur „Stobwassersche Lackwarenfabrik" durch den Schwager Jean Guerin des Geschäftsführers Heinrich Stobwasser aufgegriffen, was der Firma große Konkurrenzfähigkeit einbrachte — sowohl in Deutschland selbst, als auch in England und Frankreich. 

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Abbildung 13: Schnupftabakdose, Papiermaché mit Schwarzlackbeschichtung; Schachspiel-Szene, Malerei nach einer Stichvorlage von J. A. Planson von 1819 und nach einem Gemälde von Chalon; Stob-wassers Fabrik, Braunschweig, 1825-1830

Abbildung 14: Schnupftabakdose, Papiermaché mit Schwarzlackbeschichtung und Dekor in Ölmalerei, „Mein mir ewig treuer Ambrosius" nach Joseph Stö-ber; Stobwassers Fabrik, Braunschweig, um 1815

3. Henry Clay's gepresste Papierbahnen im späten 18. Jahrhundert

Henry Clay (ca. 1750-1812) trieb die Herstellung von stabilem und qualitätvollem Papiermaché noch weiter. Am 20. November 1772 erhielt er ein Patent, das seine Erfindung — wasser- sowie hitzeresistentes, in mehreren dünnen Lagen produziertes Papiermache — vor Nachahmung schützte. Zahlreiche Papier- und Pappebögen, meist aus Baumwolle, wurden hierzu mit einer immer wie¬der dazwischen aufgestrichenen Klebstoffmischung aus Leim, Harz sowie Mehl übereinander gelegt, gepresst, getrocknet und anschließend für den jeweiligen Verwendungszweck behandelt. Durch die neueste Technik dieser dicken Papiermache-Platten konnten sogar stabile und haltbare Möbelstücke angefertigt werden. Die Platten konnten mit normalen Holzwerkzeugen bearbeitet werden. Sogar Schwalbenschwanzverbindungen waren möglich in der Herstellung großformatiger Möbel. Sollten kleinere Gegenstände produziert werden konnten die Papierbahnen im noch feuch¬ten Zustand in jegliche erdenkliche Form, entsprechend den Vorgaben, gepresst werden. Die meisten 

Möbel von Henry Clay wurden mit einer im ostasiatischen Stil lackierten Oberfläche versehen. Neben Möbelstücken fertigte Clay als königlicher Hoflieferant, auch papierne Knöpfe, deren Produktion im Jahre 1774 patentiert wurde — 1786 sogar das Verfahren, diese mit Perlmutt zu dekorieren.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird Clays Firma von Small & Son übernommen, die sich auf den Vertrieb von Papiermache-Rohlingen spezialisierten, welche sie an für Lackierarbeiten spezialisierte Firmen verkauften. Diese Betriebe vollendeten die eingekauften papiernen Stücke und versahen sie mit ihren eigenen Firmenstempeln bevor die fertige Ware an den Mann gebracht wurde. 

4. Die industrielle Fertigung von Papiermaché-Möbeln durch die Firma Jennens & Bettridge um die Mitte des 19. Jahrhunderts

Nach Henry Clays Tod übernahmen Aaron Jennens und T. H. Bettridge im Jahre 1816 die beste-hende Firma von Small & Son. Allerlei Möbelstücke wurden aus Papier hergestellt und erfreuten sich aufgrund ihres geringeren Gewichts und Preises sowie ihrer Haltbarkeit internationaler Beliebtheit. Zur Papiermaché-Fertigung liegen widersprüchliche Aussagen vor. Zum einen wird davon ausgegangen, dass, um die Herstellung schneller vorangehen zu lassen und Zeit und somit Kosten einsparen zu können, Jennens & Bettridge eine neue Methode der Anfertigung von Pa-piermaché erfanden. Sie besannen sich zurück auf Papierbrei, der allerdings nun in hydraulischen Pressen unter enormem Druck geformt wurde. Zwar gingen damit im Vergleich zum Clayschen Verfahren Einbußen der Qualität einher, doch der Markt konnte durch diese Art der Massenanferti¬gung gesättigt werden. Außerdem konnten die zur Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts belieb¬ten Neorokoko-Formen in ihrer typischen, bewegten Kontur gut nachgeahmt werden.

Zum anderen jedoch erwähnte die Berichterstattungs-Kommission der Deutschen Zollvereins-Regierungen in ihrem amtlichen Bericht über die Weltausstellung in London im Jahre 1851, dass aber wohl nicht alle Möbel der Firma aus Papierbrei geformt worden sind: „[...] Die Gegenstände waren fast ohne Ausnahme aus gepreßtem Papier und nicht aus Papiermasse hergestellt [...]."

Nach der Untersuchung des Stuhles aus der LÖFFLER COLLECTION könnte es sich durchaus um übereinandergelegte Papierbahnen handeln (siehe S. 22), wie obige Quelle vermuten lässt. Nach Fertigstellung des Papiermaché-Rohlings wurden die Stücke mit einer Vergoldung oder Japanlack versehen, der mit Perlmutter dekoriert wurde. Auch realistisch angelegte, florale und landschaftliche Malereien waren üblich, genauso wie mit der Schablone gemalte goldene Dekorationen. (Abb. 15, Abb. 16).

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Abbildung 15: Papiermache-Tablett mit polychromer Dekoration;„The Nubian Giraffe" nach Jacques-Laurent Agasses; Jennens & Bettridge, England, c. 1827-1830

Abbildung 16: Papiermaché-Kipptisch mit Blumen und Goldornamentik; Jennens & Bettridge, England, c. 1850

DIE UNTERSUCHUNG DER BEIDEN „JAPANNED" PAPIERMACHÉ-SITZMÖBEL — DIE EINGESETZTEN MATERIALIEN UND IHRE VERWENDUNG

Die beiden Sitzmöbel aus der LÖFFLER COLLECTION (Abb. 17, Abb. 18) wurden mit gängigen und den mir an der Fachakademie zur Verfügung stehenden Methoden auf ihre Materialien hin untersucht. Die vorgenommenen Untersuchungen wurden protokoliert und in entsprechenden Datenblättern schriftlich festgehalten.

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Abbildung 17: Stuhl (Inv. Nr. 1504), Frontalansicht

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Abbildung 18: Armlehnsessel (Inv. Nr. 1298), Frontalansicht

 

49 BÜTTNER 2000, S. 11. 
59 MATERIALARCHIV o.J.
51 GRÜNEBAUM 1993, S. 11f.
52 ebd., S. 44f. Siehe z.B. Schloss Ludwigslust, Abb. 10.
53 GRÜNEBAUM 1993, S. 67ff.
54 GRÜNEBAUM 1993, S. 69ff.
55 ebd., S. 58f.
56 ebd., S. 63ff.
57 GRÜNEBAUM 1993, S. 71ff.
58 GRÜNEBAUM 1993, S. 73f.
59 zit. nach KOPPLIN 1998, S. 58.
60 GRÜNEBAUM 1993, S. 73.
61 Die Bestimmung erfolgte nach GROSSER 1977, S. 56f., 186f. Siehe Datenblätter im Anhang, S. 63f.

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