Historismus

Historismus (1830 - 1900): zurück in die Zukunft

Was hat ein Schrank im Stil des Historismus mit dem Philosophen Cicero zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, auf den zweiten eine ganze Menge.

Der römische Denker bediente sich nämlich genau wie die Kunstschreiner des Historismus bei seinen berühmten Reden des so genannten Eklektizismus. Dabei handelt es sich um eine Methode, bei der bewusst auf bereits Vorhandenes zurückgegriffen und dieses in einer Neuauflage vermittelt wird. Bei Cicero waren es die Erkenntnisse der griechischen Philosophie, die er an die lateinischsprachige Welt weiter gab. Bei den Möbeldesignern des Historismus waren es die Stilformen der vergangenen Jahrhunderte, die eine Neuauflage erlebten. Eklektizistisch (griechisch:: „eklektós“) agierten also nicht nur beide, sondern sie waren damit auch ausgesprochen erfolgreich.

Historismus Der Historismus beginnt bereits 1820 in Frankreich, als in Deutschland gerade das Biedermeier eine Blütezeit erlebt. Jenseits des Rheins kommt es zur Renaissance von Rokokoformen im so genannten Neorokoko bzw. Zweiten Rokoko. Da diese Kunstepoche in Frankreich unter der Regierungszeit des Bürgerkönigs Louis-Philippe (1830- 1848) en vogue war, wird sie auch Louis-Philippe-Stil genannt. Auch bei den Viktorianischen Stilen in England (1837-1901) handelt es sich um historisierende Strömungen. Die in England bereits um 1750 beginnende Wiederbesinnung auf die Gotik in Form der Neu- oder Neogotik war in den 1840er Jahren schließlich in fast ganz Europa modern.

Im deutschsprachigen Raum löst der Historismus gegen 1845 das Biedermeier ab. Dabei kommt es zu einer erstaunlichen Durchmischung verschiedener Stilformen (Stilpluralismus) vom Empire über Gotik bis hin zu Renaissance und Barock. Die Bezeichnung des Möbels richtet sich schließlich nach der jeweils signifikanten Stilistik und erfolgt durch simples Voranstellen der Wortes „Zweites“ oder der Partikeln „Neu“ und „Neo“. So spricht man beispielsweise vom Zweiten Empire, der Neugotik oder Neorenaissance. Dort, wo in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stilistiken eine besonders nachhaltige Synthese eingehen, setzt sich später die Bezeichnung „Altdeutscher Stil“ durch.

Markantes Charakteristikum historistischer Möbelstücke ist deren industrielle Fertigung. Mittels mechanisch angetriebener Geräte wie Kreissäge, Hobel- und Furnierschneidemaschine entsteht in der Verarbeitung ein Maß an Präzision, das in den vorangegangenen Stilepochen in manueller Fertigung schlichtweg nicht möglich war. Allerdings geht mit der nun einsetzenden serienmäßigen Verbreitung historischer Möbel auch ein Verlust ihres unikatären Charmes einher. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass signifikante Details des Möbels einen industriell gefertigten Charakter mit niederer Ästhetik aufweisen. So sind Furniere deutlich dünner gefertigt als bisher (um 0,9 mm, vorher 1,8 mm und mehr) und verfügen über verlässliche „Einheitsformate“, klassische Ornamente aus Edelholz werden oft durch Surrogate, d.h. Pappmache oder gepresste Billighölzer ersetzt. Dennoch sind diese Möbelstücke bezüglich des Entwurfs und der Verarbeitung heutigen Stilmöbeln weit überlegen.

Bezüglich der Möbelformen ist eine bislang nicht realisierte Vielfalt festzuhalten. Besonders charakteristische Stücke der Zeit sind jedoch Vertiko, Schreibschrank und Ausziehtisch. Als Hölzer finden dabei hauptsächlich Buche, Birke, auch Kirschbaum, Mahagoni und Nussbaum Verwendung. Die Oberflächen erscheinen poliert oder mattiert, erste Zelluloselacke werden aufgetragen. Als Beschläge dienen häufig Zapfenbänder, Schlüsselschilder mit Griff bzw. flache Reliefs.

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